Buchvorstellung: „Gehen. Weiter gehen.“ Von Erling Kagge
Warum sollten wir ein Buch über das Gehen lesen wollen? Weltenwanderer, Bergsteiger und Autor Erling Kagge aus Norwegen (im Jahr 2018 hatten wir sein Buch „Stille – Ein Wegweiser“ vorgestellt) möchte uns auf einen allzu selbstverständlichen und quasi automatisierten, eher wenig beachteten Vorgang aufmerksam machen. Kagge lädt uns dazu ein, das Gehen bewusst und durchaus auch achtsam wahrzunehmen, konzentriert zu verfolgen und mit allem Wohlwollen zu wertschätzen. Denn: Wenn wir uns das Gehen bewusst machen und uns Zeit für längere Strecken nehmen, “stellt sich ein Glücksgefühl ein, unsere Gedanken beginnen zu fließen, der Kopf wird klar, äußere und innere Welt gehen ineinander über, wir werden eins mit der Welt – im Gehen.“ Der Norweger weiß, wovon er schreibt: Er ist weit gegangen bzw. gewandert: Er war am Nordpol und am Südpol unterwegs. Er hat den Mount Everest bestiegen. Er war tagelang zu Fuß in Los Angeles eingetaucht und erkundete die Unterwelt von Manhattan. In Oslo läuft er fast täglich per Pedes zur Arbeit und zurück. Wochenends geht es raus in die Natur. Viele zählen ihn zu den größten lebenden Abenteurern unserer Zeit.
Gehen heißt: Tempo runter – Antworten finden
Das Gehen hat natürlich etwas mit Verlangsamung bzw. Entschleunigung zu tun. Nur im Gehen haben wir die Chance, unsere Umwelt aufmerksam und bewusst zu betrachten und wahrzunehmen. Folglich ist Kagge kein Freund von schneller Beförderung, weder mit dem Auto noch mit der Bahn. Selbst das Fahrrad ist ihm fürs bewusste Erleben zu schnell. Denn: Dann fliegt alles viel zu schnell an einem vorbei. „Bei so vielen Dingen in unserem Leben geht es um hohes Tempo. Gehen tut man langsam. Und ist damit das Radikalste, was du tun kannst“, schreibt er. Natürlich nutzt Kagge auch die Annehmlichkeiten, die eine moderne, urbane Mobilität ausmachen. Aber dann ist man seiner Auffassung nach eher im Tunnel. Wer gern joggt oder Fahrrad fährt, will sein Gedankenrad eher stoppen und einfach mal abschalten. Lösungsorientiertes oder kreatives Denken findet nicht unter Tempo statt. Wer geht, denkt und grübelt, wird sogar eher langsamer als schneller, bleibt dann und wann vielleicht sogar stehen. „Die Gedanken, die durch den Kopf gehen, oder die Sorgen, die ich körperlich spüre, verändern und klären sich beim Gehen. Gehen kann eine Entdeckungsreise zu dir selbst sein, gleichzeitig formen dich die Gebäude, die Schilder, die Gesichter, das Wetter und die Stimmung auf der Straße. Wir sind zum Gehen geschaffen, (…).“ Auch in den Städten und nicht nur in der Natur. Der Homo Sapiens sei immer gegangen. Die Bipedie, das Gehen auf zwei Füßen, habe die Grundlage für alles gelegt, was wir heuten seien. Gehen als Mischung aus Bewegung, Demut, Gleichgewicht, Neugierde, Geruch, Geräusch, Licht.